kramann.info
© Guido Kramann

Login: Passwort:










kramann.info
© Guido Kramann

Login: Passwort:




Wie macht man ein Haiku Kurzgedicht?

(EN google-translate)

(PL google-translate)

"

A train goes by
its smoke curling
around the new tree leaves

"

HAIKU, Masaoka Shiki, in: Masaoke Shiki "Selected Poems", Columbia University Press, New York 1997.

Ursprüngliche Form

Haikus sind japanische Kurzgedichte. Das klassische Haiku besteht aus drei Zeilen mit 5-7-5 japanischen Silben (Moren). Traditionelle Haikus beinhalten ein Wort, das auf die Jahreszeit hinweist. Weder diese Tradition, noch die Bindung an die Silbenanzahl werden heute noch als bindend angesehen. Zumal ist die Übertragung der Silbenregel in eine andere Sprache sowieso schwierig, weil die japanische Silbe eine kürzere Einheit darstellt, als beispielsweise die Silbe im Deutschen.

Heutige Form

Haikus sind in der Regel nicht metaphorisch, sondern beschreiben eine konkrete Situation. Indirekt über die Beschreibung dieser Situation werden dem Leser des Haiku bestimmte Gedanken und Gefühle vermittelt. Voraussetzung für das Verständnis des Haikus ist also, dass sich der Leser in die darin beschriebene auch hineinversetzen kann. Oft beinhalten sie eine überraschende Sichtweise auf uns ansonsten vertraute Dinge.

Gebrauch der Gedichtsform im Kurs Künstlerische Forschung

Die Aufgabe ein Haiku zu dichten ist eine klar umrissene künstlerische Herausforderung. Haikus sind dann im Zusammenhang des Kurses interessant, wenn sie beim Leser eine Änderung seiner Sichtweise hervorrufen. Insofern kann man sagen, dass es sich bei einem solchen Haiku um ein Werk der Konzeptkunst handelt. In diesem Kurs spielt die von Edmund Husserl ins Leben gerufene philosophische Richtung der Phänomenologie eine zentrale Rolle. Haikus der zuvor beschriebenen Art bewirken die bei Husserl beschriebene "phänomenologische Reduktion". Das heißt, eine Vormeinung oder eine übliche Art etwas zu betrachten oder auch außer Acht zu lassen, wird durch die Rezeption des Gedichtes aufgelöst. Und das ist es auch, worum es in dem Kurs grundsätzlich geht: Die identifizierung solcher blinden Flecken in der allgemeinen Wahrnehmung und die Suche nach einer künstlerischen Form, um diesen blinden Fleck auch für andere wieder wahrnehmbar zu machen. Diese Eigenschaft trifft natürlich nur auf eine gewisse Auswahl von Haikus statt. Jedoch scheinen Haikus prädestiniert für diese Aufgabe zu sein.

Masaoke Shiki

"

A stray cat
is shitting
in my winter garden

"

HAIKU, Masaoka Shiki, in: Masaoke Shiki "Selected Poems", Columbia University Press, New York 1997.

Masaoke Shiki war ein bekannter Haijin (Haiku Dichter) der am Ende des neunzehnten Jahrhunderts lebte. So war er Zeitzeuge der in Japan beginnenden Industrialisierung. Dies spiegelt sich in vielen seiner Haikus wider. Es finden sich bei ihm viele Beispiele, wo sich Dinge oder Wesen aus einander fremden Welten begegnen und in Interaktion treten. Technik-Natur, Tier-Mensch, Mensch-Natur, Mensch-Technik. Gerade dies läßt den gängigen Kontext des jeweils anderen fragwürdig erscheinen: Eine Katze kennt den Begriff Garten nicht. Kann der Dampf einer Lokomotive wie ein Stück Natur gesehen werden?

Es gibt viele Möglichkeiten mit Hilfe eines Haikus beim Leser einen Kontextwechsel hervorzurufen. Oft ist das dann eine Auflösung eines Stücks Metaphysik, oder auch die Reduktion auf das reine Phänomen.

"

The moon over the roof
worms in the garden
I rent this house

"

Allen Ginsberg (1926-1997) Collected Haiku, https://terebess.hu/english/haiku/aginsberg.html, 07.03.2018.

Allen Ginsberg (1926-1997) -- Collected Haiku

Wann ist mein Haiku gut?

Die Idee des Kontextwechsels sollte im Haiku verwirklicht sein.

Darüber hinaus werden auf der deutschen Seite "Haiku heute" eine Reihe an Gründen genannt, warum ein dort eingereichter Haiku abgelehnt worden sein könnte (von Volker Friebel):

Haiku heute, http://www.haiku-heute.de/Zur_Teilnahme/zur_teilnahme.html, 08.03.2018.

"Mögliche Gründe für die Ablehnung von Texten: Zu lang, Zu kurz, Zu große Ähnlichkeit mit einem schon erschienenen Text, Banal, Zu subjektiv formuliert, Erschöpft sich in einem Sprachspiel, Kommt nicht über eine Beobachtung hinaus, Nicht konkret, Nicht gegenwärtig, Sprachmängel, Zu kompliziert, Keine Pole oder Ebenen oder Gegenüberstellungen ersichtlich (zu einfach), Überladen, Kommentiert sich selbst, Textteile ohne ersichtliche Beziehung, Textteile interagieren nicht, Gezwungen wirkendes Bild, "Nur" Lebensweisheit, Unangemessen gereimt, Zu verrätselt, Zu bemüht exzentrisch, Fehler bei den verwendeten Begriffen, Rein persönlich, Gut -- aber kein Haiku, ..."

... und schließt mit der Bewerkung:

"Ein Haiku kann allerdings gegen all dies verstoßen und trotzdem genommen werden. Das ist das Mysterium guter Dichtung."