Erfahrungen mit Klang
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Was änder sich prinzipiell, wenn sich der Fokus vom Visuellen auf das Akustische verschiebt?
In unserer Lebenswelt dominieren visuelle Erfahrungen. Die meisten Dinge erfahren wir, indem wir sie ansehen. Beispielsweise spiegelt der Begriff "Sehenswürdigkeiten" bereits diesen Umstand.
Treten Sinnesempfindungen einer anderen Qualität in den Fordergrund, verändert das oft grundlegend unsere Wahrnehmung für unsere Umgebung.
Straßenbahnen im Nebel: ein konrektes Beispiel
Nehmen wir beispielsweise das Fahrgeräusch einer Straßenbahn wahr anstatt diese einfach als Verkehrsmittel zu benutzen. Diese veränderte Fokussierung kann ausgelöst sein, durch eine außergewöhnliche Situation: Wenn es nebelig ist, so ist die visuelle Wahrnehmung eingeschränkt und auch die Geräusche um uns herum verändern sich: Sie wirken abgedämpft und die Feuchtigkeit auf den Schienen sorgt für eine Veränderung des Fahrgeräusches der Bahn: Dieses wird von den Frequenzen her tiefer und wandelt sich von "Kreissäge" mehr hin zu "Walgesängen".
Selbstbeobachtung der auftretenden Veränderungen für einen selbst
Aber ist dasjenige, was in der soeben beispielhaft beschriebenen Situation an Veränderungen vorgeht, nicht viel tiefgreifender, als eine bloße Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokusses? Hier folgen einige Selbstbeobachtungen zur Diskussion:
Ich fühle mich aus meinem Alltag herausgehoben: Anstatt nur in Gedanken verhaftet zu sein, die sich damit beschäftigen, was ich heute zu arbeiten habe und ob ich den nächsten Zug noch bekommen, verweile ich unvermittelt in der jetzt aktuellen Situation. Dies wiederum zieht nach sich, dass ich mich wohler fühle als davor. Warum? -- Ich würde sagen, weil eine eigentlich erlebte unmittelbare Situation ein Modus ist, der gegenüber dem entrückten alltäglichen weniger oder gar nicht mit Problemen zu tun hat, sondern selbstgenügsam ist: Es scheint okay zu sein, einfach da zu stehen und zu lauschen. Ich fühle mich unvermittelt eher als selbstbestimmter, freier Mensch und nicht als "Getriebener":
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Konsequenzen für das Arbeiten mit Klängen im Kontext der Künstlerischen Forschung
Das Leiten des Wahrnehmungsfokusses auf die akustische Ebene als Intention eines Kunstwerkes, kann genutzt werden, um einen Abstand zu der alltäglichen Bewertung einer aktuellen Situation zu gewinnen und statt dessen als Rezipient eher eine vorurteilsärmere, neugierige Haltung einzunehmen. Dies geht in die Richtung der von Edmund Husserl verlangten Einklammerung der natürlichen Einstellung (Epoché), als Voraussetzung um mit phänomenologischen Untersuchungen starten zu können. Das Umlenken des Wahrnehmungsfokusses vom Visuellen hin zum Klanglichen, könnte somit als Methode genommen werden, die Möglichkeit bei den Rezipienten zu öffnen, etwas am wirklich Gegebenen zu erkennen, das sonst von den alltäglichen Erwartungen verdeckt wäre.
Erinnerungen an einige zufällige Ereignisse, bei denen sich unvermittelt die Wahrnehmungsebene vom Visuellen hin zum Klanglichen verschoben hat und die damit einhergehenden Veränderungen der persönlichen Grundeinstellung
Im Winter im Urlaub im Süden am Meer, morgens im Hotel aufwachend bei offenem Fenster: Ich höre vom nahegelegenen Hafen her, wie durch den Wind bewirkt die Stahlseile an den Masten der Segelschiffe gegen die Masten schlagen und repetetive, helle, glockenartige Klänge in großer Vielgestaltigkeit erzeugen. Dies versetzt mich in die plötzliche, wohlige Erkenntnis, ja an diesem speziellen Ort zu sein und hilft mir, kurz aufkommende Gedanken an den Alltag, dem ich "entflohen" bin wieder zurück zu drängen und mehr -- das trifft es wohl hier -- im "hier und jetzt" zu sein.
In der TU-Bibliothek Berlin, am Waschbecken in der Örtlichkeit stehend, höre ich ein von den Rohrleitungen der Klimaanlage her durch den Wind draußen verursachtes mehrstimmiges Seuseln, dessen Stimmen sich ständig in der Tonhöhe entlang eines harmonischen Obertonspektrums verändern. Es klingt im Grunde wie Musik und es wundert mich, dass so etwas absichtslos entstehen kann. Die Feinheit und interessante Komplexität dieser Klänge stehen im krassen Widerspruch zu der Situation, in der ich mich gerade befinde.
Künstlerische Beispiele, bei denen die jeweilige Klangerfahrung nicht bloß für sich erfahren wird, sondern ein gewisser Kontextwechsel hervorgerufen wird
Anders als dann, wenn ein Musikinstrument gespielt wird, führt die Umwidmung dieses Stücks Baumaterial im besten Fall beim Rezipienten zum Verleihen der Fähigkeit zu einer veränderten Wahrnehmung von Gegenständen massiver Materialität hin zur Einordnung zu Dingen, die potentiell auch klingen können. Das geriert mitunter einen mehr kindlichen und vielleicht lebensfroheren Zugang zu den uns umgebenden Dingen. Stichwort: Mit dem Stock an einen Lattenzaun entlang schrappen, um zu hören wie er klingt.
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