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Motivation zu Künstlerische Forschung

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Im Wesentlichen zeichnen sich die Fächer an Technischen Hochschulen dadurch aus, dass verschiedene Methoden zur Bewältigung technischer Probleme erlernt werden. Um diese Methoden anwenden zu können, muss von dem konkreten Gegenstandsbereich aber in spezifischer Weise abstrahiert werden.

Vermittelt werden in diesen Fächern also insbesondere zwei Grundfertigkeiten:

  1. in spezieller Weise zu abstrahieren und
  2. auf dieser abstrakten Ebene die Methoden anzuwenden

Beispiele hierzu:

  • Man lernt die Mechanik dynamischer Systeme zu modellieren und kann dann Regelkreise zur Beeinflussung ihrer Dynamik entwerfen.
  • Man lernt, ein gewünschtes regelbasiertes Verhalten eines Systems als Logiktabelle darzustellen und kann daraus eine digitale Schaltung entwerfen.
  • Man analysiert die zu erwartende Fallhöhe und Durchflußgeschwindigkeit bei einem Staudamm und kann dann in einem Diagramm eine geeignete Turbine auswählen.

Diese ganzen Abstraktionsweisen sind echte Errungenschaften, die uns dazu befähigen, komplexe technische Probleme zu meistern. Und auch in unserem Lebensalltag vermeiden wir es, allzu detailverliebt auf die Dinge zu schauen, mit denen wir umgehen, damit wir unseren Alltag überhaupt meistern können: Fenster, Stühle, Wege, Türen usw. existieren die meiste Zeit nur im Hinblick auf ihre Funktion für uns. Die Mitarbeiter*Innen der Mensa existieren für die meisten Besucher*Innen erst einmal in ihrer Funktion als Ausgebende von Essen und die Lehrenden für die Studierenden als Vermittelnde von Wissen.

Jedoch liegt in der Abstraktion immer die Gefahr etwas Wichtiges zu übersehen, was sich beispielsweise in den vorgenannten Beispielen eindrücklich durch die abwertende verobjektivierung von Personen äußert.

Übersehen werden naturgemäß Dinge, die sich nicht mit der der Abstraktion zugrunde liegenden Theorie eines Studienfachs abbilden lassen. Im Alltag übersehen wir leicht Dinge, die außerhalb unserer aktuellen Intention liegen, wie beispielsweise, dringend etwas Essen zu wollen.

Die erwähnte absolute Notwendigkeit und auch Allgegenwärtigkeit des Abstrahierens einmal bewußt zu machen, ist ein wichtiger Gegenstand des Kurses Künstlerische Forschung. Zentraler ist jedoch die Einsicht, dass Abstraktion notgedrungen mit blinden Flecken einhergeht. Die Studierenden im Kurs Künstlerische Forschung lernen eine Erkenntnismethode kennen, die in ergänzender Weise zu allem, was sonst methodisch gelehrt wird, dazu dient, einen Gegenstandsbereich vortheoretisch und vorurteilsfrei zu betrachten; Namentlich wird die Phänomenologie nach Edmund Husserl unterrichtet, ergänzt durch Texte moderner Autoren.

Ein Schritt auf dem Weg einer phänomenologischen Sichtweise ist zunächst die Erkenntnis, dass oft dasjenige, was in unserem Fokus ist, gar nicht die Sache selbst ist, um die es letztendlich geht.

Dazu einige Beispiele:

  • Eine phänomenologische Auseinandersetzung mit Musik kann nicht darin bestehen, eine Partitur zu lesen.
  • Ein Kennlinienfeld für Wasserturbinen gibt keinen Hinweis darauf, dass ein sehr großes Kraftwerk zu bauen bedeuten kann, Dörfer für immer unter Wasser verschwinden zu lassen.
  • Das Prozessdiagramm einer Hühnerschlachterei verbirgt wesentliche Aspekte der Vorgänge, um die es hier geht.

Es wird klar: Es gibt Abstufungen, wie nah dran am eigentlichen Phänomen eine Darstellung ist.

In dem nachfolgenden Bild wird das anhand des Beispiels "Strand" verdeutlicht:

  • Der signitive Akt der Nennung des die gemeinte Sache bezeichnenden Wortes "Strand", vermittelt am wenigsten, was Strand bedeutet.
  • Durch eine Grafik (imaginativer Akt) kommt man der Sache schon näher.
  • Ein Foto lässt schon deutlichere Erinnerungen an Strände aufkommen.
  • Ist zudem noch eine Person im Strandbild zu sehen, identifiziert man sich bis zu einem gewissen Grad mit ihr und die Erinnerungen werden noch intensiver.
Von links nach rechts ansteigender Grad an Erfülltheit in Hinblick auf das eigentliche Phäomenon

Bild 0-1: Von links nach rechts ansteigender Grad an Erfülltheit in Hinblick auf das eigentliche Phäomenon "Strand".

Husserl spricht von eigentlichen und uneigentlichen Vorstellungen und beschreibt beispielsweise in seinen "Logischen Untersuchungen" wie es vor sich geht, wenn wir über s.g. "Erfülltheitsketten" von einer abstrakten Vorstellung ausgehend wieder zu einer möglichst konkreten gelangen. In dem nachfolgenden Zitat nimmt er ein Beispiel aus der Arithmetik um dies zu illustrieren. Viele von Husserls Begriffen und Vorstellungen sind durch seine der Philosophie vorangehende Beschäftigung mit Mathematik geprägt:

"Jede in einer Definitionskette sich entfaltende mathematische Be- griffsbi1dung zeigt uns die Möglichkeit von Erfüllungsketten, die sich Glied für Glied aus signitiven Intentionen aufbauen. Wir machen uns den Begriff (5^3)14 klar durch Rückgang auf die definitorische Vorstellung: "Zahl, welche entsteht, wenn man das Produkt 5^3 * 5^3 * 5^3 * 5^3 bildet". Wollen wir diese letztere Vorstellung wieder klar machen, so müssen wir auf den Sinn von 5^3 zurückgehen, also auf die Bildung 5 * 5 * 5. Noch weiter zurückgehend, hät- ten wir dann 5 durch die Definitionskette 5 = 4 + 1. 4 = 3 + 1, 3 = 2 + 1, 2 = 1 + 1 zu erklären. Nach jedem Schritt hätten wir aber die Substitution in den zuletzt gebildeten komplexen Ausdruck, bzw. Gedanken, zu vollziehen, und wäre dieser Gedanke immer wieder herstellbar (an sich ist er es gewiß, obschon ebenso gewiß nicht für uns), so kämen wir schließlich auf die vollständig explizierte Summe von Einern, von der es hieße: das ist die Zahl (5^3)^4 "selbst". "

Quelle: Husserl, E.: Logische Untersuchungen Teil 2, §18 Stufenreihen mittelbarer Erfüllungen. Meiner, Hamburg 2009, S. 601-602.